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Maxi Wallenhorst
HALTEN,
GEDRÜCKT
HALTEN,
MEIN SCHATZ
Es ist eine wie unendliche Nacht und ich habe für immer keine Süßigkeiten mehr. Hat in unendlichen Nächten der Späti noch offen? Hat der Späti in unendlichen Nächten eine okaye Auswahl an Schokolade und wann wird sie aufgefüllt? Schokolade hält mich, aber nur, wenn ich sie mag. Manchmal erinnere ich mich, dass ich auch von anderem gehalten werden könnte. Manchmal erinnere ich mich auch, dass ich auch von anderem gehalten werde. Es ist eine unendliche Nacht und ich kaufe etwas mit Erdnussbutter. Zuckerflash gegen Dunkelheit, dann Zuckermüdigkeit. Mit der Zeit ist es nicht mehr niedlich.

Ich versuche zu schätzen, wie Dinge Bedeutung haben, wie Hände Dinge halten. Das heißt, Bedeutung bedeutet hier auch Leben, Dinge bedeutet hier auch Leben, also ich meine vor allem, wie sie sich haben, halten, haben. Auch, wie Hände Hände halten. Oder wie die Menschen in der U-Bahn ihre Handys halten, auf dem Weg zur Arbeit. Wie LKW-Fahrerinnen und Manager Schlüssel in der Hand halten, wegdämmern, bis er auf den Boden fällt und sie so aufweckt. Wie die Menschen ihre Handys halten, auf dem Weg nach Hause. Wie andere Menschen nicht befördert werden im Nahverkehr, sei es Montagmorgens um halb acht, sei es in einer unendlichen Nacht.

Ich gehöre zu denen, die ihr Handy in der Hand halten, nicht den Schlüssel. Ich gehöre zum Rhythmus, mit dem mein Zeigefinger eine Zahlenkombination nachvollzieht, um es zu entsperren. Der falsche Rhythmus. Ich umklammere, entsperrt, in der Jackentasche mein Handy, bis es für eine, fünf, fünfzehn Minuten deaktiviert ist. Als ich es wieder öffnen kann, will ich eine Sprachnachricht für eine Freundin aufnehmen. Aber, vielleicht weil ich nicht wirklich den roten Button gedrückt gehalten habe, oder weil mein Touchscreen kaputt ist – die ganzen sieben Minuten gehen verloren. Sie machen nicht das Plopp-Geräusch des Versendet-Werdens. Ich werde nicht darüber benachrichtigt, ob die Sprachnachricht abgespielt oder gespeichert wurde. Die ganzen gecroonten Ähms, das Gelaber, getarnt als intime Offenbarung, wird Monolog. Es ist so schwierig, über alles das an Halten zu sprechen, das nicht buchstäblich ist. Vielleicht, weil Halten auch Unsichtbar-Machen heißt und umgekehrt wird es auch unsichtbar gemacht, schlecht bezahlt, nicht anerkannt.

Halten, Honig Salz Mandel, Halten. Das Wort heideggert unangenehm. Es klingt so wertig, dabei ist es mickrig und macht Flecken auf dem Sweatshirt, die extrem schlecht wieder rausgehen. Es klingt, als ob gehaltene Menschen in einer Welt leben, die so flach ist, dass sie sich halten können. Dabei leben sie in einer Welt zum Beispiel aus Wohnungsmärkten, einem Raster von Weiß-Sein, Bürgschaften, Mobilität. Und in der U-Bahn, mit der ich fahre – wer wird zwischen zwei aussichtslosen Besichtigungen bei Ticketkontrollen ins Visier genommen, wer wird wieder gehen gelassen, bei wem wird die Polizei gerufen, wen nimmt die Polizei dann mit?

Lauren Berlant, der dieser Text fast alles verdankt, schreibt: “Now the feeling my body's holding seems like a good because it's holding me, but that's bad theory. It's not just holding that's good or being held: also play and wandering.” Gehalten zu werden, fühlt sich an wie gehalten zu werden, aber manchmal auch nicht. Verzweifelte, weiße, junge Männer (ich war mal einer von ihnen) fühlen sich, als wären sie im freien Fall, obwohl sie gehalten werden von Infrastruktur. Nur weil unendliche Nacht ist, heißt das nicht, dass sie mich hält, heißt das nicht, dass sie mich nicht hält. Halten ist nur ein Wort für Halten. Manchmal ist Halten das, was Vergleiche machen, gerade schlechte Vergleiche. Das, was gerade noch so zusammenhängt.

Als ich ein Teenager war, dachte ich, gehalten zu werden, fühlt sich an wie eine Hand auf der Schulter. Jetzt denke ich immer noch, gehalten zu werden fühlt sich an wie eine Hand auf der Schulter. Aber wenn ich gehalten werden, kann es auch sein wie eine Hand, die fickt. Fältchen auf den Knöcheln, bis sie verschwinden. Ein Tattoo auf dem Unterarm, den Unterarm selbst. Das Weiße der Knöchel. Sehr, sehr kurz geschnittene Fingernägel, in einem Einmalhandschuh oder ohne Handschuh. Körperflüssigkeiten, die trotzdem unter die Fingernägel gelangen. Handbewegungen. Nachfragen, ob alles okay ist. Handbewegungen. Es ist klar, wer hier wen hält, bis es nicht mehr klar ist.

Es ist eine unendliche Nacht und wenn ich gehalten werde, ist es wie Innenraumbeleuchtung, die aus dem Zimmer durch das Fenster nach draußen scheint und von da aus in ein anderes Zimmer durch ein anderes Fenster wieder hinein, sei es dieselbe Wohnung, dasselbe Haus, derselbe Block. Nähe ist involviert, aber nicht notwendig von nebenan. Und das ist immer noch das Bild, weil, ja, die Nacht ist immer noch unendlich. Und ja, unser Haus gehört immer noch nicht uns.





Typeface Serifbabe Variable by Charlotte Rohde.
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